Klimaseniorinnen: Eine unklare und ungenügende Erklärung des Bundesrates

Seitenkontext

Klimaseniorinnen: Eine unklare und ungenügende Erklärung des Bundesrates

Freiburg, 28.8.2024. Nach dem Parlament hat nun auch der Bundesrat Stellung bezogen zum Urteil «Klimaseniorinnen». In seiner Erklärung bekennt er sich zum System der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), allerdings ohne sich explizit zur Verbindlichkeit der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu bekennen. Die SMRI bedauert, dass der Bundesrat nicht bereit ist, weitere Massnahmen zum Schutz der Menschenrechte im Kontext der Klimaveränderung zu ergreifen. Die Umsetzung des Urteils bleibt damit wohl ungenügend. Es ist zu erwarten, dass das Ministerkomitee des Europarates weitere Massnahmen einfordern wird.
Bundeshaus

In seiner heutigen Stellungnahme anerkennt der Bundesrat: «Die EMRK und die Mitgliedschaft im Europarat (…) bleiben für die Schweiz von grosser Bedeutung». Die SMRI begrüsst diese Haltung. Allerdings ist es bedauerlich, dass in der Erklärung des Bundesrates, wie schon in jener, die das Parlament im Juni abgegeben hat, ein klares Bekenntnis zur Verbindlichkeit der Urteile des Gerichtshofs für Menschenrechte fehlt. Dies, obwohl die Verbindlichkeit dieser Urteile ein Kernelement des Menschenrechtsschutzes in Europa ist.  

Die SMRI bedauert auch die Kritik des Bundesrates an der «weiten Auslegung der EMRK durch den EGMR». Das widerspricht jedenfalls teilweise seinem Bekenntnis zum Strassburger Gerichtshof. Die Konvention ist ein «lebendiges Instrument»; das ergibt sich seit langem aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes und das ist auch notwendig dafür, dass die Konvention Antworten auf die drängendsten Fragen der Zeit geben kann. Diesen Aspekt des «Systems der Europäischen Menschenrechtskonvention» abzulehnen, macht die Haltung des Bundesrates jedenfalls teilweise widersprüchlich.  

Ungenügende Massnahmen könnten die Position des EGMR gefährden  

Auch die Haltung des Bundesrates, wonach «die Schweiz die klimapolitischen Anforderungen des Urteils [bereits] erfüllt» ist schwer zu vereinbaren mit seinem Bekenntnis zum EGMR. Diese Haltung dürfte die Schutzwirkung der EMRK in absehbarer Zukunft schwächen.  

Es ist bereits jetzt absehbar, dass die Massnahmen, die der Bundesrat zu ergreifen bereit ist, nicht genügen werden, um das Ministerkomitee des Europarates zu überzeugen. Das Ministerkomitee überwacht die Umsetzung der Urteile des EGMR durch die Mitgliedstaaten. Es ist davon auszugehen, dass es von der Schweiz weitere Massnahmen verlangen wird, etwa, dass sie ein CO2-Budget ausarbeite.  

Diese zusätzlichen Massnahmen werden politisch sehr unpopulär sein – auch das ist bereits jetzt absehbar. Mit seinem Minimalismus in der Umsetzung des Urteils könnte der Bundesrat daher indirekt jene Kräfte stärken, die die EMRK marginalisieren oder gar kündigen wollen.  

Stefan Schlegel, der Direktor der Schweizerischen Menschenrechtsinstitution sagt: «In der sich nun abzeichnenden Phase, in der die EMRK und der Gerichtshof enorm unter Druck stehen werden, sind alle Akteure – ob sie mit dem Entscheid «Klimaseniorinnen» einverstanden sind oder nicht – dazu aufgerufen, die EMRK zu verteidigen und den menschenrechtlichen Schutz aufrecht zu erhalten, den die EMRK der Bevölkerung der Schweiz bietet. Seit ihrer Ratifikation durch die Schweiz vor 50 Jahren, hat die EMRK die Rechtsetzung und die Rechtsprechung in der Schweiz stark beeinflusst. Nicht zuletzt hat sie einen grossen Einfluss auf unsere Verfassung ausgeübt. Ihr Wert für den Schutz unserer Rechte im Alltag ist enorm».  

Hintergrund

Am 9. April 2024 hat die grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall «Klimaseniorinnen» befunden, dass die Schweiz Menschenrechte verletzt habe. Am 5. bzw. am 12. Juni haben der Ständerat und dann der Nationalrat Erklärungen abgegeben, wonach die Schweiz schon genug klimapolitische Massnahmen ergriffen habe, um das Urteil umzusetzen. Mit dieser Haltung hat das Parlament die Verbindlichkeit der Entscheide des EGMR in Frage gestellt.  

Lesen Sie unsere Medienmitteilung vom 12. Juni 2024 

In Zusammenhang mit den Erklärungen des Parlaments sagte Stefan Schlegel: «Im Ministerkomitee des Europarates ist die Schweiz durch den Bundesrat vertreten. Er muss nun dafür die Verantwortung übernehmen, den Schaden zu limitieren und beim Europarat zu versichern, dass die Schweiz die Verbindlichkeit von Urteilen des Gerichtshofs weiterhin anerkennt.» Nach der heutigen Erklärung des Bundesrates muss festgehalten werden, dass er das nicht in der nötigen Klarheit getan hat. 

Über die Schweizerische Menschenrechtsinstitution  

Die Schweizerische Menschenrechtsinstitution (SMRI) ist die nationale Menschenrechtsinstitution der Schweiz. Sie beruht auf den sog. Pariser Prinzipien und auf einer Rechtsgrundlage des Bundes. Sie ist finanziert vom Bund und den Kantonen. Ihre Arbeit führt sie aber unabhängig aus. Die Aufgabe der Schweizerischen Menschenrechtsinstitution ist der Schutz und die Förderung der Menschenrechte in der Schweiz. Sie erfüllt diese Aufgabe durch Dokumentation, Forschung, Beratung und Vermittlung. Die SMRI wurde 2023 gegründet und verfügt seit Anfang 2024 über eine Geschäftsstelle. 

Zum Mediendossier  

Rückfragen an

Noémi Manco, Leiterin Kommunikation (FR, EN, IT)
+41 26 505 44 44
media@isdh.ch

Stefan Schlegel, Direktor (DE, FR, EN)
+41 26 505 4